Wenn Wein und Familie gemeinsam Zeitgeschichte schreiben
Das Familienunternehmen Marchesi Antinori—eine echte Erfolgsgeschichte, die derzeit in der 26. Generation geschrieben wird. Welche Herausforderungen und Chancen das mit sich bringt: ein Gespräch über Wein, Traditionen und Perspektiven.
Frau Antinori, Marchesi Antinori ist ein Familienunternehmen, das bereits in der 26. Generation besteht. Wie fühlt es sich an, dieses besondere Familienerbe weiterzutragen und gemeinsam mit ihren Schwestern ein so traditionsreiches Unternehmen zu leiten?
Traditionen werden in unserer Familie sehr großgeschrieben. Daher war es für meinen Vater selbstverständlich, das Unternehmen von seinen Töchtern fortführen zu lassen, auch wenn wir erstmalig keine Männer waren, die die Nachfolge antraten. Wir selbst hatten da also keine große Wahl (schmunzelt). Unsere Geschichte basiert auf der Zusammenführung von Weinbau und Kellerei, alles unter einem Dach–die Vorteile daraus hat meine Familie früh erkannt. Wir stellten also das Mindset um, erweiterten unseren Ansatz um die Ressource Natur und erkannten die Potenziale der Terroirs Chianti Classico. Unser Vorgehen unterlag also einem stetigen Wandel, und auch das generelle Umdenken der Weinwelt prägte mich als Kind bereits sehr. Die Weichen für unseren und meinen Weg waren damit gestellt. Sie haben mir die richtigen und wichtigen Werte der Branche vermittelt.
Ihr Vater ist noch immer im Unternehmen tätig. Wie prägt er Ihren Werdegang und Alltag?
Grundsätzlich sind die Herausforderungen und die Erwartungshaltungen in unserem Metier immer ein Balance-Akt. Unser Vater ist dabei für uns eine große Inspiration. Mit 85 Jahren ist er immer noch aktiv und verfolgt sehr innovative Ansätze. Seine grundsätzliche Ausrichtung und die vermittelten Werte sind der Schlüssel für unseren Erfolg. Er ist seit 45 Jahren Teil des Unternehmens, neben ihm teilen wir drei Schwestern uns die Bereiche Önologie, Marketing und Hospitality auf. In unser aller Blut steckt die DNA von Marchesi Antinori –wir leben diese mit jeder Pore und funktionieren untereinander ohne große Absprachen.
Heutzutage ist Marchesi Antinori für die hervorragende Qualität seiner Weine bekannt. Auf welche Erfolgsfaktoren kommt es in Ihren Augen beim Start einer erfolgreichen Business-/Luxusmarke an? Harte Arbeit? Qualität? Eine starke Marke? Eine Mischung aus all diesen Faktoren?
Grundsätzlich ist jede Tenuta, also jedes Landgut, komplett autark zu betrachten. Alle haben ihre eigene Kellerei, eigene Weinberge sowie Önologen und vieles mehr. Mein Credo lautet generell zu Beginn: »Qualität und Quantität vertragen sich nicht gut.« Darum sollte der Fokus vor Masse unbedingt auf echter Qualität liegen. Geduld und die richtigen Experten sind dafür die Schlüsselfaktoren und bilden die Grundlage für eine erfolgreiche Marke. Wir selbst setzen zum Beispiel auf die Mischung aus 15 verschiedenen Tenutas und sind neben der Toskana auch in Apulien, Umbrien und dem Piemont aktiv. Aber wie eingangs erwähnt: Jede Tenuta braucht ihre individuelle Strategie.
Luxus und Nachhaltigkeit werden oft als Widerspruch gesehen. Inwieweit kann die Produktion von Wein als Luxusgut mit nachhaltigem Handeln verbunden werden?
Für uns im Hause Antinori ist eines klar: Unser Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Natur–dem Terroir–ist für uns klar und deutlich. Wir wollen dabei nicht dogmatisch und absolut sein, aber sind in unseren Handlungen sehr bewusst. Wir unterstützen mit unserem Tun die Natur, die Rebe, wollen dabei aber die Gesundheit der Umgebung und aller beteiligten Personen nie gefährden. Wenn man diese Parameter verfolgt, ist es möglich, Luxus und Nachhaltigkeit mehr und mehr in Einklang zu bringen.
Das Landgut Antinori gleicht einem modernen Kunstwerk und beherbergt neben dem Weingut ein Museum, ein Geschäft und ein Restaurant. Wie wichtig ist heutzutage die Beteiligung der Öffentlichkeit und welche Rolle spielt die »Erlebnisgesellschaft« und »Inszenierung« dabei? Gibt es Schnittstellen zum klassischen Tourismus?
Wir haben uns bewusst entschieden, unsere Firmenzentrale aus Florenz umzuziehen und in einem völlig neu geschaffenen State-of-the-ArtBuilding alle Disziplinen zu vereinen, von Marketing über Accounting bis hin zu Museum und Restaurant. Im Hause Antinori planen wir gerne mit großem Weitblick, zum Beispiel 26 Generationen voraus (schmunzelt). Unser Gebäude ist also kreiert, ein Stück Zeitgeschichte zu werden und auch in vielen, vielen Jahren noch multifunktionale Zwecke zu erfüllen. Blickt man zurück, wurde Antinori früher hauptsächlich in den beiden Privathäusern der Familie betrieben. Heute sind wir der Öffentlichkeit sehr zugewandt und setzen auf einen gut durchdachten Önotourismus. Antinori ist damit längst nicht mehr »nur« ein Weingut, sondern eine starke Marke mit mehr als 40.000 Besuchern pro Jahr.
Weinpressen ist ein jahrhundertealtes Handwerk. Wie wichtig ist dabei heute das Thema Digitalisierung für Ihr Unternehmen?
Wir stehen als Unternehmerfamilie dafür, bei all der Tradition die Zukunft und kommende Entwicklungen trotzdem immer im Blick zu behalten. Unser Fokus ist unser Produkt, das wir auch heute noch handwerklich so anspruchsvoll wie möglich herstellen. Für die Kommunikation nach außen ist die Digitalisierung aber unumgänglich und verschafft uns außerdem die Möglichkeit, unsere Kunden besser kennenzulernen. (Weiter-)Bildung ist für uns der Keyfact für alle Digitalisierungsprozesse und bietet die Basis für unser Storytelling und die Emotionen, die wir bei der Ansprache unserer Kunden wecken wollen.
Welche Art Weine inspirieren Sie selbst, immer wieder nach Perfektion zu streben?
Ich persönlich mag Sangiovese und Pinot Noir am meisten. Für mich ist generell das PreisGenuss-Verhältnis wichtig und ich muss Weine wiedererkennen können. Wenn wir das mit unseren Weinen schaffen, bin ich zufrieden.
Der Klimawandel schreitet voran. Wie wirken sich steigende Temperaturen und stärkere Niederschläge nach Ihrer Erfahrung auf den Weinbau aus?
Wir spüren das tagtäglich. Vor 25 Jahren konnten wir noch 7000 Reben je Hektar anpflanzen–heute sind es in unseren neuen Anlagen deutlich weniger. Zudem haben wir den Rebschnitt angepasst, um mehr Luftzufuhr zu erreichen und damit die Reben an die veränderten Bedingungen anzupassen. Grundsätzlich sind wir mehr und mehr auf der Suche nach kühleren Zonen. Entscheidende Faktoren für mehr Abkühlung sind Höhe und Neigungswinkel.
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Hat ein solch langjähriges Familienunternehmen wie Ihres auch weiterhin kein Nachwuchsproblem?
Auch wenn ich hier für die 26. Generation stehe, kann ich sagen: Die 27. Generation steht schon in den Startlöchern. Aktuell bringt sich diese zum Beispiel bei einem Projekt in Chile ein, weiterer Nachwuchs ist im Bereich Agrikultur aktiv und mein Sohn arbeitet bereits im Weinkeller. Meine jüngste Tochter studiert in Glion und fasst gerade Fuß im Restaurant-Business.
Aus dem Nähkästchen geplaudert: Ist das Leben innerhalb einer Weindynastie sehr stringent?
Ehrlich gesagt ist bei uns jeder Tag in gewisser Weise amüsant und alles andere als monoton. Mein Vater sagt zum Beispiel immer, er habe noch keinen Tag in seinem Leben gearbeitet, denn er habe jeden Tag davon genossen. Bei uns wurde immer von der Landwirtschaft auf den Teller gelebt und wir waren und sind sehr nah an der Natur. In der Hospitality-Branche fühlt man sich täglich, als würde man Menschen bei sich zu Hause empfangen. Das leben wir durch und durch und setzen unser FamilyKonzept auch bei unseren Mitarbeitern fort. Nicht nur innerhalb der Familie, auch innerhalb der Mitarbeiterschaft sind bei uns häufig schon viele aufeinanderfolgende Generationen tätig. Das macht uns ehrlich gesagt sehr stolz.
Teilen Sie mit uns Ihre Experteneinschätzung: Was sind die Megatrends der Weinszene? Was werden wir in zehn oder 20 Jahren trinken?
Die Weine werden sich weiter mehr und mehr an den Markt anpassen. Eine große Fragestellung ist zum Beispiel generell das Thema Alkohol. Werden wir eventuell den Alkoholgehalt reduzieren, um damit einer aktuellen Bewegung Sorge zu tragen? In jedem Fall werden wir verstärkt auf die junge Klientel eingehen und dabei die Gratwanderung zur Tradition schaffen müssen. Die Schlagworte zu konservativen Strategien sind dabei für mich Awareness, Leichtigkeit, Finesse, Eleganz, Frische und Frucht. Mit unserem Calafuria Rosé haben wir übrigens genau diesen Weg bereits eingeschlagen und ein Angebot für den »jungen« Markt geschaffen.
Abschließend noch mal zurück zur Basis Ihres Unternehmens: der Familie. Wie können »Nicht-Familienbetriebe« von Ihnen lernen und welche Werte würden Sie diesen mit auf den Weg geben?
Seid korrekt und respektvoll im Umgang mit der Konkurrenz. Diese Grundhaltung muss in jedem Team gelebt werden. Habt Leidenschaft für das Produkt, Geduld bei der Integration neuer Mitarbeiter, bei der Implementierung neuer Prozesse und dem Durchsetzen von Entscheidungen. Ich halte es in der Unternehmensführung mit einem besonderen Leitspruch: Fahrrad fahren lernt man einmal fürs Leben. Aber wer aufhört, in die Pedale zu treten, wird fallen.